Eine
Liebesgeschichte
von Helga Baudis
Aber was?
Unruhe ergriff mich, nachdem ich folgende Zeilen gelesen hatte:
"Alter schützt vor Liebe nicht, aber Liebe vor dem Altern.."
und
... "das entscheidende Lebensgefühl definiert sich
über unser
Liebesleben."
Ein ganzes Zeitchen wirbelten diese Gedanken im Kopf herum. Dann
folgte ein neuer Energieschub. Mir wurde klar, dass ich den
traurigen Pfad
des Selbstmitleids wegen Einsamkeit, in die mich das Leben gezwungen
hatte, verlassen wollte.
Zuerst begab ich mich in die Schreibwerkstatt in Schöneiche.
Es
wurde ein Gewinn für mich.
Mit Bedacht startete ich weitere Aktionen. Liebe finden? Wie leicht es
doch einst war, Liebeleien zu finden, zu verlieren und neu zu
erschließen.Doch im Alter bleiben sie verdeckt, versteckt,
verkriechen sich. trotzdem ging ich es guten Mutes an.
Zuerst wurde ich aufmerksame Leserin von Anzeigen in der
Märkischen Oderzeitung. Gern lese ich wenige davon mit einigem
Schmunzeln vor:
"181er Projektingenieur, mit einer tollen männlichen
Ausstrahlung, Sport-, Kultur- und Naturfan, Hobbykoch, intelligent,
gepflegt, ein gefühlvoller Mann mit Zielen und
Träumen"... Wahnsinn! Wer hat den gebacken? Wer hat ihn im
Regen stehen lassen?
Na ja, es war die falsche Rubrik, in die ich geraten war.
Lese nun eine andere Spalte: "Eine russische Landschildkröte
ist entlaufen in FFO." "Gesucht werden Spatz, Sperling, Schwalbe.
Geboten wird Fuchs Wallach, 148cm, angeritten." "Verkaufe
Burenziegenbock."
Das war's wohl. So finde ich keine kuschlige Liebe. Neu entscheide ich
mich für Direktkontakte. Gehört hatte ich, wo man sie
findet. Meine Reise führte an den Stadtrand von Berlin. Und
tatsächlich erlebte ich dort im "Helga Hahnemann Haus" mein
"Herzklopfen kostenlos", vorerst. Es gab Blickkontakte, man konnte sich
nah sein, man redete miteinander. Mit meiner Entscheidung stellte ich
mich freudig in der Verwaltung vor. Meine Vorfreude auf einen Partner
platzte jäh!
Mich bekümmerte, dass ich den Grund zur Absage sogar verstehen
konnte. "Haben Sie Ihr Alter bedacht?" Nein, ich gab nicht auf. Jahr um
Jahr fuhr ich hoffnungsvoll ins Hahnemann-Haus. Und es begab sich eines
Tages:
Die Damen der Verwaltung und Entscheidung bekamen Mitleid mit meiner
sichtlich alternden, traurigen Gestalt.
"Für welchen Partner haben Sie sich entschieden? Ausgerechnet
so einen Jungen? Gut, übernehmen Sie seine Schulden?"
Nach einer guten Stunde erforderlichen Verwaltungskrams, war es so
weit. Wie berauscht hielt ich einen kuschligen Liebhaber im Arm.
Noch folgen mahnende Worte:
"Es wäre schlimm für Billy, wenn Sie den Schritt
bereuen. Bedenken Sie seine Jugend, treffen Sie Vorsorge für
Eventualitäten. Er wird Sie wohl überleben. Halten
Sie sich gut fit. Wir wünschen Ihnen ein langes gemeinsames
Leben!"
Gerührt und überaus froh schleppte ich den rassigen
Schönling zur 1 km entfernten Bushaltestelle. Im
überfüllten Bus bekam ich alte Dame mit Tragekorb
sofort einen Platz. Unsere lange Fahrt gab uns viel Gelegenheit
einander bekannt zu machen. Ich bemerkte seine ruhige Gelassenheit und
fühlte sein seidiges, dickes Fell. Schon verliebt, schaute ich
in seine großen bersteinfarbenen Kulleraugen. Sein Anzug sah
perfekt aus. Auf saharafarbenem Grund gab es unzählige Punkte
und feine Linien. Eben ein richtiger Stubentiger.
Lustig auch die geringelten Socken und Ringel am buschigen Schwanz.
Nur sein Blick wirkte sehr ernst wie bei einem sibirischen Luchs - oder
ist es ein Eulenblick?
Inzwischen hat sich mein Alltag auf den Kopf gestellt. Einsamkeit ist
verflogen. ja, ich bin zerkratzt und oft außer Puste. Billy
tobt durch die Wohnung. Im Garten spielt er mit mir Räuber
und Gendarm. Ratlos stehe ich unten am Korkenzieherbaum. Er
hängt weit oben in den Zweigen. Hilflos schaut er mich an.
Nein, ich klettere nicht mehr. Eine hohe Leiter muss es richten.
Früh, beim ersten Lichtstrahl trommelt mein Tiger gegen die
untere Bettkante.
Völlig verschlafen schlurfe ich in Richtung Fressnapf. Er
schnurrt und frisst begierig. Wir schlafen weiter. Viel später
gibt es das (gemeinsame) zweite Frühstück
für Billy. Lachs, Forelle in Aspik genießt er (eine
halbe Portion). Auf meinem Teller liegt Vollkornbrot mit
Weißkäse, ein Apfel dazu.
Nur früher, in meinem Beruf, in der Arbeit mit Kindern, gab es
so heitere Lacher wie jetzt wieder.
Obwohl er klein, prall, dick ist, dehnt und streckt er sich
täglich auf 75 cm Länge hingeaalt aus und fixiert
mich. Will heißen: "Kuschelmassage ist dran - los!" Sobald
ich lese, liegt er auf dem Tisch in der Nähe des Buches. Will
ich schreiben, sitzt er auf dem Blatt.
Die Wohnung musste ich verändern. bade ich, rutscht er vom
Wannenrand ins Wasser.
Alles in allem: Es geht uns gut! Nichts fehlt mehr.
Nur meine Kinder stellten fest: Mama, dem erlaubst du ja jeden
Blödsinn. Bei uns war alles ganz anders.
Ist wohl so, die Liebe im Alter?
Helga Baudis 10/2013
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